Ist der Fokus der G20 auf Afrika eine Chance für den Kontinent?
Mabanza: Das hängt davon ab, was das Motiv dafür ist. Ich frage mich, ob es Initiativen wie den Compact mit Afrika oder den Marshallplan ohne die Flüchtlingskrise der vergangenen Jahre gegeben hätte. Geht es darum, das innenpolitische Zeichen zu senden: Wir tun was, damit die Migranten bleiben, wo sie sind? Die meisten Flüchtlinge sind nicht aus Afrika gekommen…
Lämmel: Genau, das muss man noch einmal klar sagen.
Mabanza: … aber so wird es überwiegend wahrgenommen. Der unsägliche Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ wird automatisch mit Afrika in Verbindung gebracht. Es kann trotzdem sinnvoll sein, die Krise zum Anlass für die Neugestaltung der Beziehungen zu Afrika zu nehmen. Nur muss man das dann gut machen. Das sehe ich noch nicht.
Ist das Hauptmotiv, Migration einzudämmen?
Lämmel: Nein. Die Bundeskanzlerin hat Afrika schon immer weit oben auf der Tagesordnung. Aber durch die Migration nach Europa ist noch stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, dass sich in Afrika vieles nicht so gut entwickelt wie gedacht. Wie kann es zum Beispiel sein, dass nach vier oder fünf Jahrzehnten Entwicklungspolitik in vielen afrikanischen Ländern immer noch weniger als die Hälfte der Menschen Zugang zu Strom hat? Da muss etwas schief gelaufen sein. Deshalb soll unter der deutschen G20-Präsidentschaft ein neuer Anlauf genommen werden. Aber wir brauchen dazu auch Regierungen in Afrika, die in der Lage und willens sind, mitzutun.
Mabanza: Warum werden dann die Pläne ohne die afrikanischen Regierungen entwickelt? Das BMZ nennt sein Papier „Marshallplan mit Afrika“, doch die meisten afrikanischen Regierungen haben davon aus der Presse erfahren. In Deutschland lebende Afrikaner wie ich sind nicht vorab einbezogen worden, sondern wurden nur zur Kommentierung im Internet eingeladen.
Lämmel: Der Marshallplan ist kein ausgearbeiteter Plan, sondern ein Vorschlag. Deshalb sind Sie auch gebeten worden, diesen zu kommentieren. Es ist auch kein Teil der Arbeit in der G20, sondern eine Initiative von Entwicklungsminister Gerd Müller. Auch Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries hat einen eigenen Plan „Pro!Afrika“ vorgelegt.
Ergibt das eine schlüssige deutsche Afrika-Strategie oder stehen da schlecht abgestimmte einzelne Initiativen nebeneinander?
Lämmel: Wenn jedes Ministerium seinen eigenen Plan veröffentlicht, hilft uns das in der Tat nicht. Neben dem Entwicklungs- und Wirtschaftsministerium arbeiten ja auch das Bildungs- und Gesundheitsministerium viel mit Afrika zusammen. Die verschiedenen Initiativen müssen nun diskutiert werden und in eine Initiative der gesamten Bundesregierung münden.
Mabanza: Dass verschiedene Pläne konkurrieren, hat auch innenpolitische Gründe und mit Wahlkampf zu tun. Doch auch wenn die Bundesregierung einen abgestimmten Plan hätte, müsste er mit den vorhandenen Rahmenbedingungen in Einklang gebracht werden – zum Beispiel mit existierenden Handelsabkommen. Die Entwicklungspolitik hat auch deshalb jahrzehntelang wenig erreicht, weil sie von anderen Politikfeldern wie Handel, Sicherheit, Fischerei teilweise konterkariert wurde.
Der Compact mit Afrika zielt darauf, dass mehr in Afrika investiert wird. Ist das vernünftig?
Mabanza: Im Prinzip schon. Aber die mit Privatinvestitionen verbundenen Probleme werden ausgeblendet. Solche Investitionen wurden bisher vor allem zur Ausplünderung vieler afrikanischer Länder genutzt. Die sollten selbst bestimmen können, wohin Investitionen am sinnvollsten gehen. Ausländische Anleger investieren, wo sie die beste Rendite erzielen können. Das ist eine große Gefahr.
Lämmel: Diese Meinung kann ich nicht teilen. Natürlich muss jeder Investor Geld verdienen. Wenn das Gewinnstreben immer als schlecht bewertet wird, muss man sich nicht wundern, dass niemand investiert.
Mabanza: Ich stelle das nicht als schlecht dar. Sondern ich will, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dafür sorgen, dass alle Seiten profitieren. Bisher haben von Auslandsinvestitionen die afrikanischen Länder selbst weit unterproportional profitiert.
Lämmel: Wie kommen Sie denn darauf?
Mabanza: Schauen Sie zum Beispiel, was von den Profiten von Shell in Nigeria geblieben ist – mit allen bekannten Problemen wie dem, dass eine kleine korrupte Elite das vereinnahmt.
Lämmel: Das ist das Problem!
Mabanza: Nicht nur. Was Nigeria bekommen hat, steht in keinem Verhältnis zum Profit von Shell selbst. Das gleiche gilt für viele andere Firmen im Kongo, in Südafrika und anderswo. Man sollte zum Beispiel für alle Investitionen und die gesamte Lieferkette verbindliche Sozial- und Umweltstandards gesetzlich vorschreiben. Bisher setzt man da auf Freiwilligkeit, und das wirkt nicht.
Kein Mangel an Afrika-Plänen
Aus der Bundesregierung sind zuletzt mehrere unterschiedliche Initiativen für eine neue Afrika-Politik gekommen:
- Einen „Compact mit Afrika“ hat die ...
Lämmel: Das stimmt nicht. Viele afrikanische Staaten wollen gerade deutsche Investoren, weil sie wissen, dass die ihrer Verantwortung gerecht werden. Deutsche Firmen bilden aus und kümmern sich um das lokale Umfeld – so wie sie das auch in Deutschland tun. Man kann aber nicht alle Investitionen nach denselben Standards bewerten wie bei uns. Ich will nicht Raubbau an der Natur oder anderem Missbrauch das Wort reden. Aber ich halte es für absurd zu denken, man könne die Umwelt- und Sozialstandards in Europa in der ganzen Welt anlegen. Und was Nigeria angeht: Es kann sein, dass der Deal mit Shell nicht gut war. Das kann ich nicht beurteilen. Aber Deutschland berät viele afrikanische Länder, wie man solche Verträge so schließt, dass sie zum beiderseitigen Nutzen sind. Nur muss dann die Regierung in diesem Sinne handeln. Jedes Jahr werden 50 Milliarden US-Dollar illegal aus Afrika transferiert. Warum?
Mabanza: Dieses Problem kann Afrika nicht allein lösen. Und in Afrika ärgern sich viele, dass Vorschläge dazu aus Europa kommen, ohne dass wahrgenommen wird, was schon in Afrika an Konzepten ausgearbeitet ist. Darauf kann man zurückgreifen und die Ankündigungspolitik im Marshallplan mit Leben füllen.
Lämmel: Was heißt hier Ankündigungspolitik? Im Marshallplan steht klar, dass Deutschland nur mit Ländern weiter zusammenarbeiten will, die bereit sind, zum Beispiel eine ordentliche Steuerverwaltung und Rechnungshöfe aufzubauen, um den Geldfluss unter Kontrolle zu bringen. Das ist ein wichtiger Schritt.
Mabanza: Aber das schaut nur auf Afrika. Ein hochrangiges Panel unter dem früheren südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki hat für die Afrikanische Union (AU) ein Konzept für den Kampf gegen illegale Kapitalabflüsse ausgearbeitet. Es geht nicht nur darauf ein, was afrikanische Länder tun können, sondern auch auf die Verantwortung der Industrienationen, etwa für die Offenlegung der Firmeneigner und der Vermögen von Konzernen.
Lämmel: Thabo Mbeki kann seinen Plan bei der G20 einbringen, dazu gibt es das Gremium ja. Auch auf dem Afrika-Gipfel bei der Kanzlerin im Juni kann das diskutiert werden. Unser Angebot ist: Den Staaten, die wollen, helfen wir beim Aufbau von Steuerbehörden und Rechnungshöfen.
Solche Hilfe gibt es doch längst. Ist es nicht ein alter Hut, die Zusammenarbeit an gute Regierungsführung zu binden?
Lämmel: Neu ist, dass wir das nun endlich umsetzen wollen. Wir haben das vom Entwicklungsminister immer wieder verlangt. Deshalb steht es im Marshallplan mit drin. In den nächsten Monaten müssen wir uns noch einigen, mit welchen Ländern in Afrika man engere Entwicklungspartnerschaften schließen kann.
Mabanza: Im Marshallplan wird auch ein Land wie Ägypten als Vorbild genannt. Das widerspricht dem Anspruch, gute Regierungsführung ernst zu nehmen. Und wenn wir einzelne Länder unterstützen und deren Nachbarn bleiben zurück, bringt uns das nicht wirklich weiter. Ich würde eher darauf setzen, was die AU versucht: Im Aufbau einer kontinentalen Freihandelszone steckt, bei allen Schwächen, großes Potenzial.
Lämmel: Auf diese Freihandelszone werden wir noch fünfzig Jahre warten. Wir unterstützen deshalb Regionalorganisationen wie die Ostafrikanische Gemeinschaft sowie Unternehmerverbände dort, um die Hemmnisse für den gemeinsamen Markt abzubauen und für Investoren einen größeren Markt zu schaffen. Über Abkommen zwischen regionalen Einheiten kommt man dann auch eher zu noch größeren Wirtschaftsräumen.
Mabanza: Genau das will doch die AU. Aber die EU verhandelt seit 2002 Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit Gruppen von afrikanischen Ländern und gefährdet damit stark die regionale Integration. Für Westafrika zum Beispiel gelten je nach Land vier verschiedene Bedingungen des Zugangs zum europäischen Markt: zollfreier Zugang für die ärmsten Länder, ein Interim-EPA für Ghana und die Elfenbeinküste und zwei globale Regelwerke für Nigeria und die Kapverden. Die EU versteht regionale Integration als Zwischenschritt zur Weltmarktintegration. Sie sollte aber in erster Linie den Handel in Afrika vergrößern. Kenia zum Beispiel ist die am stärksten diversifizierte Wirtschaft der Region und ihr Markt ist Ostafrika. Doch mit den EPAs holt es sich die Konkurrenz aus Europa ins Haus: Es muss im Rahmen des EPA 82 Prozent des Handels mit der EU öffnen.
Lämmel: Wollen Sie noch mal zehn Jahre verhandeln? Die EPAs geben afrikanischen Ländern völlig freien Zugang zum europäischen Markt und zu Hause können 20 Prozent des Marktes geschützt bleiben; bei Marktverwerfungen sind zusätzliche Schutzmaßnahmen möglich. Einen besseren Handel werden sie kaum bekommen.
Deutsche Investitionen in Afrika sind bisher nicht hoch, besonders nicht in Infrastruktur. Wo genau sollen sie zu Entwicklung in Afrika beitragen?
Lämmel: In der Tat gibt es keinen Ansturm deutscher Unternehmen auf Afrika. Und Deutschland hat den Fehler gemacht, in der Entwicklungszusammenarbeit seit fünfzehn, zwanzig Jahren keine großen Infrastrukturprojekte mehr zu fördern. Man hat sich lieber auf kleinere Projekte konzentriert. Der Compact mit Afrika soll nun Infrastrukturprojekte voranbringen.
Mabanza: Es ist tatsächlich wichtig, die Infrastruktur auszubauen. Für die Finanzierung sollte Afrika aber zuerst eigene Mittel mobilisieren. Sonst begibt man sich in Abhängigkeit von Geldgebern und riskiert, dass die Schuldenkrise zurückkommt.
Sind private Investitionen in Infrastruktur sinnvoll?
Mabanza: Nicht überall. Es ist eine Gefahr, von Geldgebern mit dem Interesse an Renditen abhängig zu werden. Deshalb soll der Staat mobilisieren, was er kann – und er kann mehr, als man bisher denkt. In der Infrastruktur – Energie, Wasser, Gesundheit – muss der Staat die Hoheit behalten. Private Investoren haben ihre Rolle anderswo.
Lämmel: Natürlich muss der Staat die Hoheit über die Projekte behalten. Aber trotzdem braucht man verschiedene Geldquellen. Wenn man afrikanische Geschäftsleute motivieren kann, zu Hause zu investieren, ist schon etwas gewonnen. Ich habe zum Beispiel reiche Getreidehändler in Mali gefragt, warum sie sich riesige Autos kaufen und ihr Geld nach Frankreich schaffen, anstatt zu Hause zu investieren. Sie sagen, Sie haben kein Vertrauen in die Politik des Landes Man muss aus der entwicklungspolitischen Falle heraus und akzeptieren, dass es um Investitionen geht. Für die gibt es genug Geld auf der Welt, aber natürlich wollen Anleger, auch afrikanische, eine Rendite.
Soll man solche Investitionen mit Entwicklungsmitteln fördern?
Mabanza: Das ist der Ansatz des Compact mit Afrika: Das Engagement der reichen Länder wird darauf reduziert, Risikoabsicherung für Privatanlagen zu betreiben.
Lämmel: Und die ist wichtig.
Wird die Afrika-Initiative in den G20 als Steckenpferd Deutschlands empfunden oder kann in Hamburg für Afrika etwas herauskommen?
Lämmel: Afrika ist nicht das Hauptthema der G20 und nur dank Deutschland überhaupt auf die Tagesordnung gekommen. Was dort konsensfähig ist, kann jetzt noch niemand beantworten.
Mabanza: Stimmt. Aber ich habe einen Wunsch: Es wäre viel gewonnen, wenn die G20 Beschlüsse fassen würde, die Kapitalflucht aus Afrika zu erschweren – etwa zur Austrocknung von Steueroasen und zur Transparenz von Finanzflüssen.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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